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Tages-Anzeiger Magazin 29-2005
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STILKRITIK - EINE NEUE HYMNE von Guido Mingels
Per Fax und rechtzeitig zum Nationalfeiertag erreichte die Redaktion der sehr begrüssenswerte Vorschlag von Frau Ulrike Pittner von der Fachgruppe Bildung und Kultur des Frauenrates des Kantons Baselland, der Text der Landeshymne sei derart abzuändern, dass sich auch Frauen und Mütter angesprochen fühlen. Ein Vergleich zwischen dem von Leonhard Widmer Mitte des 19. Jahrhunderts verfassten Original und dem Neuvorschlag macht die Vorteile der pittnerschen Variante schnell deutlich.

Original:
«Trittst im Morgenrot daher, Seh' ich dich im Strahlenmeer,
Dich, du Hocherhabener, Herrlicher! Wenn der Alpen Firn sich rötet,
Betet, freie Schweizer, betet! Eure fromme Seele ahnt Gott im hehren Vaterland!
Gott, den Herrn, im hehren Vaterland!»

Neufassung:
«Tritt's im Morgenrot daher, Seh'n wir es im Strahlenmeer,
Nichts ist hocherhabener, himmlischer! Wenn der Alpen Firn sich rötet,
Betet, all ihr Menschen, betet!
Unsre fromme Seele ahnt
Göttliches im Heimatland!
Göttliches im hehren Heimatland!»

Geschickt neutralisiert die Autorin den maskulinen Gott zu Gunsten eines geschlechtslosen «Es», das auch als apostrophiertes «'s» oder als reines «Göttliches» auftritt. Sie beweist weiter eine souveräne Umsicht, indem sie den herrlichen Genitiv in «der Alpen Firn» unangetastet lässt und stattdessen zielsicher die «Schweizer» zu «Menschen» und das «Vater-» zum «Heimatland» macht.

Wie achtlos und frei von Rücksicht auf die Nachwelt erscheint dagegen der ursprüngliche Text, der, wie Pittner in ihrem Begleitschreiben richtig anmerkt, davon auszugehen schien, «als ob es in diesem Land keine Mütter und Schweizerinnen gäbe». Dem ist nicht so, und die neue Hymne verschweigt es auch nicht länger. Der Verbindung von Religiosität und Naturbezogenheit indes, die schon im Original angelegt ist, zollt die Überarbeitung Respekt, schafft es aber gleichzeitig, die ebenso elitäre wie hermetische Anrufung des Männergottes durch das individualistische lyrische Ich in einen offenen Dialog von Wir und Es zu überführen: Aus «Seh' ich dich» wird «Seh'n wir es». Nun, endlich, sind alle gemeint und alle auch betroffen.

Es kann, aus Platzgründen, an dieser Stelle nicht der gesamte Wortlaut des vier Strophen umfassenden renovierten «Schweizer Psalms» gewürdigt werden. Ein letztes Detail aber - es handelt sich um den Eingangsvers der 2. Strophe darf hier als abschliessender Beweis der Überlegenheit der Neufassung gegenüber dem widmerschen Entwurf dienen:

Original:
«Kommst im Abendglühn daher, Find ich dich im Sternenheer»

Neufassung:
«Kommt's im Abendglühn daher, Finden wir's im Sternenmeer»

Ein einziger Buchstabe macht den Unterschied. Aus einem martialischen «Heer» von Sternen wird ein friedfertiges «Meer». Der Eingriff ist notwendig, weil, wie das Mitglied der Fachgruppe Bildung und Kultur des Frauenrates des Kantons Baselland im Begleitschreiben bemerkt, viele Schweizerinnen und Schweizer «Mühe» haben, «wenn Sterne mit einem Heer assoziiert werden». Lasst uns singen!